Nutzen der Rechenkunst zur Bildung der philosophischen Seele
Dieses nun wollte ich auch jetzt sagen, daß einiges auffordernd für die Vernunft ist, anderes nicht; was nämlich in die Sinne fällt zugleich mit seinem Gegenteil, als auffordernd ansetzend, was aber nicht, als nicht erregend für die Vernunft. – Jetzt verstehe ich es schon, sagte er, und es dünkt mich auch so. – Wie nun? Die Zahl und die Einheit, zu welchem von beiden scheinen sie dir zu gehören? – Ich weiß nicht, sagte er. – Berechne es nur, sprach ich, nach dem Vorhergesagten. Denn wenn die Einheit deutlich genug an und für sich gesehen oder von sonst einem Sinne ergriffen wird – so könnte sie dann keine Hinleitung sein zum Wesen, eben wie wir von dem Finger sagten. Wenn aber mit ihr zugleich immer irgendein Widerspiel von ihr gesehen wird, so daß kein Ding mehr eins zu sein scheint als auch das Gegenteil davon; dann wäre schon eine weitere Beurteilung nötig, und die Seele würde darüber bedenklich werden müssen und, den Gedanken in sich aufregend, untersuchen und weiter fragen, was doch die Einheit selber ist. Und so gehörte dann die Beschäftigung mit der Einheit unter jene Leitenden und zur Beschauung des Seienden Hinlenkenden. – Eben dieses aber, sagte er, hat die Wahrnehmung, die es mit dem Eins zu tun hat, ganz besonders an sich. Denn wir sehen dasselbe Ding zugleich als eines und als unendlich vieles. – Wenn nun die Eins, sprach ich, so wird wohl die gesamte Zahl eben dieses an sich haben. – Allerdings. – Das Zählen aber und Rechnen hat es ganz und gar mit der Zahl zu tun. – Freilich. – Dies also zeigt sich als leitend zur Wahrheit. – Auf ganz vorzügliche Weise. – Und gehört also unter die Kenntnisse, die wir suchten. Denn dem Krieger ist es seiner Aufstellungen wegen notwendig, dieses zu verstehen; dem Philosophen aber, weil er sich dabei über das Sichtbare und das Werden erheben und das Wesen ergreifen muß, oder er ist doch nie der eigentliche Rechner. – So ist es, sagte er. – Unser Staatswächter aber ist ein Krieger und ein Philosoph. – Wie sollte er nicht! – So wäre denn die Kenntnis ganz geeignet, o Glaukon, sie gesetzlich einzuführen, und die, welche an dem Größten im Staate teilhaben sollen zu überreden, daß sie sich an die Rechenkunst geben und sich mit ihr beschäftigen, nicht auf gemeine Weise, sondern bis sie zur Anschauung der Natur der Zahlen gekommen sind durch die Vernunft selbst, nicht Kaufs und Verkaufs wegen wie Handelsleute und Krämer darüber nachsinnend, sondern zum Behuf des Krieges und wegen der Seele selbst und der Leichtigkeit ihrer Umkehr von dem Werden zum Sein und zur Wahrheit. – Sehr wohl gesprochen, sagte er. –
Und nun, sprach ich, begreife ich auch, nachdem die Kenntnis des Rechnens so beschrieben ist, wie herrlich sie ist und uns vielfältig nützlich zu dem, was wir wollen, wenn einer sie des Wissens wegen betreibt und nicht etwa des Handelns wegen. – Wieso? sagte er. – Dadurch ja, was wir eben sagten, wie sehr sie die Seele in die Höhe führt und sie nötigt, mit den Zahlen selbst sich zu beschäftigen, nimmer zufrieden, wenn einer ihr Zahlen, welche sichtbare und greifliche Körper haben, vorhält und darüber redet. Denn du weißt doch, die sich hierauf verstehen, wenn einer die Einheit selbst im Gedanken zerschneiden will, wie sie ihn auslachen und es nicht gelten lassen; sondern wenn du sie zerschneidest, vervielfältigen jene wieder, aus Furcht, daß die Einheit etwa nicht als Eins, sondern als viele Teile angesehen werde. – Ganz richtig, sagte er. – Was meinst du nun, Glaukon, wenn jemand sie fragte: Ihr Wunderlichen, von was für Zahlen redet ihr denn, in welchem die Einheit so ist, wie ihr sie wollt, jede ganz jeder gleich und nicht im mindesten verschieden, und keinen Teil in sich habend? Was, denkst du, würden sie antworten? – Ich denke dieses, daß sie von denen reden, welche man nur denken kann, unmöglich aber auf irgendeine andere Art handhaben, – Siehst du also, sprach ich, Lieber, wie notwendig die Kenntnis uns in der Tat sein muß, da sie die Seele so offenbar nötigt, sich der Vernunft selbst zu bedienen zum Behuf der Wahrheit selbst? – Gar sehr freilich, sagte er, bewirke sie dieses. – Und wie? Hast du wohl dies schon bemerkt, wie die, welche von Natur Zahlenkünstler sind, auch in allen andern Kenntnissen sich schnell fassend zeigen, die von Natur Langsamen aber, wenn sie im Rechnen unterrichtet und geübt sind, sollten sie auch keinen andern Nutzen daraus ziehen, wenigstens darin alle gewinnen, daß sie in schneller Fassungskraft sich selbst übertreffen. – So ist es, sagte er. – Und gewiß auch, wie ich denke, wirst du nicht leicht vieles finden, was dem Lernenden und Übenden so viel Mühe machte als eben dieses. – Gewiß nicht. – Aus allen diesen Gründen also dürfen wir die Kenntnis nicht loslassen, sondern die edelsten Naturen müssen darin unterwiesen werden. – Ich stimme ein, sagte er. –
Förderlichkeit der Geometrie
Dies eine also, sprach ich, stehe uns fest. Das andere aber, was damit zusammenhängt, wollen wir auch sehen, ob uns das etwas nützt? – Welches? fragte er; oder meinst du die Meßkunst? – Eben diese, sprach ich. – Was nun an ihr auf das Kriegswesen Bezug hat, sagte er, so ist wohl offenbar, daß dieses nützt. Denn um Lager abzustecken, feste Plätze einzunehmen, das Heer zusammenzuziehen oder auszudehnen, und für alles, was die Richtung des Heeres in den Gefechten selbst und auf den Märschen betrifft, wird es einen großen Unterschied machen, ob einer ein Meßkünstler ist oder nicht. – Zu dem allen, sagte ich, ist freilich ein sehr kleiner Teil der Rechenkunst und der Meßkunst hinreichend; der größere und weiter vorschreitende Teil derselben aber, laß uns zusehen, ob der einen Bezug hat auf jenes, nämlich zu machen, daß die Idee des Guten leichter gesehen werde. Es trägt aber, sagten wir, alles dasjenige hierzu bei, was die Seele nötigt, sich nach jener anderen Gegend hinzuwenden, wo das Seligste von allem Seienden sich befindet, welches eben sie auf jede Weise sehen soll. – Richtig gesprochen, sagte er. – Also wenn die Meßkunst uns nötigt, das Sein anzuschauen, so nützt sie; wenn das Werden, so nützt sie nicht. – Das behaupten wir freilich. – Und dieses, sprach ich, wird uns wohl niemand, wer nur ein weniges von Meßkunst versteht, bestreiten, daß diese Wissenschaft ganz anders ist, als die, welche sie bearbeiten, darüber reden. – Wieso? – Sie reden nämlich gar lächerlich und notdürftig; denn es kommt heraus, als ob sie bei einer Handlung wären und als ob sie eines Geschäftes wegen ihren ganzen Vortrag machten, wenn sie quadrieren, eine Figur anfügen, hinzusetzen und was sie sonst für Ausdrücke haben; die ganze Sache aber wird bloß der Erkenntnis wegen betrieben. – Allerdings, sagte er, – Und ist nicht auch noch dies einzuräumen? – Was doch? – Daß wegen der Erkenntnis des immer Seienden, nicht des bald Entstehenden, bald Vergehenden? – Leicht einzuräumen, sagte er. Denn offenbar ist die Meßkunst die Kenntnis des immer Seienden. – Also, Bester, wäre sie auch eine Leitung der Seele zur Wahrheit hin und ein Bildungsmittel philosophischer Gesinnung, daß man nämlich nach oben richte, was wir jetzt gar nicht geziemend nach unten halten. – So sehr als möglich tut sie das. – So sehr als möglich müssen wir also, sprach ich, darauf halten, daß dir die Leute in deinem Schönstaate der Geometrie nicht unkundig seien. Und auch der Nebengewinn davon ist nicht unbedeutend. – Welcher? – Dessen du erwähntest in bezug auf den Krieg; ja auch bei allen andern Kenntnissen, um sie vollkommener aufzufassen, wird ein gewaltiger Unterschied sein zwischen denen, die sich mit Geometrie abgegeben haben und die nicht. – Ein gänzlicher, beim Zeus, sagte er. – Also diese zweite Kenntnis wollen wir unserer Jugend aufgeben. – Das wollen wir. –
Astronomie und Stereometrie
Und wie? Die Sternkunde etwa als die dritte? Oder meinst du nicht? – Ich gewiß, sagte er. Denn die Zeiten immer genauer zu bemerken, der Monate sowohl als der Jahre, ist nicht nur dem Ackerbau heilsam und der Schiffahrt, sondern auch der Kriegskunst nicht minder. – Wie anmutig du bist, sprach ich, daß du scheinst die Leute zu fürchten, sie möchten meinen, du wolltest unnütze Kenntnisse aufbringen. Das aber ist die Sache, nichts Geringes, jedoch schwer zu glauben, daß durch jede dieser Kenntnisse ein Sinn der Seele gereinigt wird und aufgeregt, der unter anderen Beschäftigungen verlorengeht und erblindet, obwohl an dessen Erhaltung mehr gelegen ist als an tausend Augen; denn durch ihn allein wird die Wahrheit gesehen. Die nun dieser Meinung auch sind, werden deine Rede, es ist nicht zu sagen wie, vortrefflich finden; die aber hiervon noch nichts irgend gemerkt haben, werden ganz natürlich glauben, daß du nichts sagst. Denn einen andern Nutzen, der der Rede wert wäre, sehen sie nicht dabei. So sieh nun lieber gleich, zu welchen von beiden du redest, oder ob du für keinen von beiden Teilen, sondern deiner selbst wegen vorzüglich die Sache untersuchst, nur aber auch niemanden mißgönnen willst, wer etwa noch einen Nutzen davon haben kann. – So, sprach er, will ich am liebsten, vorzüglich meiner selbst wegen, reden sowohl als auch fragen und antworten. – So lenke denn, sprach ich, wieder zurück. Denn nicht richtig haben wir jetzt eben das Nächste an der Meßkunde angegeben. – Wieso, fragte er. – Indem wir, sprach ich, nach der Fläche gleich den Körper in Bewegung nahmen, ohne ihn zuvor an und für sich betrachtet zu haben. Und es wäre doch recht, nach der zweiten Ausdehnung die dritte zu nehmen. Diese hat es aber zu tun mit der Ausdehnung des Würfels und mit allem, was Tiefe hat. – Richtig, sagte er. Aber dies, o Sokrates, scheint noch nicht gefunden zu sein. – Und zwar, sprach ich, aus doppelter Ursache; sowohl weil kein Staat den rechten Wert darauf legt, wird hierin nur wenig erforscht bei der Schwierigkeit der Sache, als auch bedürfen die Forschenden eines Anführers, ohne den sie nicht leicht etwas finden werden, und der wird sich zuerst schwerlich finden, und wenn er sich auch fände, würden ihm, wie die Sache jetzt steht, die, welche in diesen Dingen forschen, weil sie sich selbst zuviel dünken, nicht gehorchen. Wenn aber ein ganzer Staat sich an die Spitze stellte, der die Sache gehörig zu schätzen wüßte: so würden sowohl diese gehorchen, als auch die Sache würde, wenn anhaltend und angestrengt untersucht, wohl ans Licht kommen müssen, wie sie sich verhält, da sie schon jetzt, wiewohl von den meisten gar nicht geachtet, sondern eher gehemmt, auch von den Forschenden selbst, welche die rechte Einsicht nicht haben, wieweit sie nützlich ist, dennoch dem allen zum Trotz vermöge ihres innern Reizes gedeiht und man sich gar nicht wundern muß, daß sie ans Licht gekommen ist. – Anziehend, sagte er, ist sie freilich ganz besonders. Aber erkläre mir noch deutlicher, was du eben meintest. Die ganze Lehre von den Ebenen nanntest du doch Geometrie. – Ja, sprach ich. – Und dann zunächst ihr erst die Astronomie, darauf aber lenktest du um. – Eilfertig, sprach ich, alles recht schnell durchzunehmen, verspätete ich mich vielmehr. Denn obschon die Methode, die Tiefe oder das Körperliche zu finden, das nächste war, übersprang ich diese, weil es mit der Untersuchung noch lächerlich steht, und nannte nächst der Meßkunde die Sternkunde, die es mit der Bewegung des Körperlichen zu tun hat. – Richtig gesprochen. – So wollen wir denn, sprach ich, die Sternkunde als die vierte setzen, als würde die jetzt ausgelassene sich schon einstellen, wenn nur ein Staat sich darum bekümmerte. – Natürlich! sagte er. Und was du mir eben tadeltest, o Sokrates, wegen der Sternkunde, daß ich sie auf gemeine Art gelobt, so will ich sie jetzt, so wie du sie auch treibst, loben. Denn das dünkt mich jedem deutlich, daß diese die Seele nötigt, nach oben zu sehen, und von dem Hiesigen dorthin führt. – Vielleicht, sprach ich, ist es jedem deutlich außer mir; denn mir scheint es nicht so. – Sondern wie? – Daß sie, wie sich jetzt die, welche zur Philosophie hinaufführen wollen, mit ihr beschäftigen, gerade unterwärts sehen macht. – Wie meinst du das? fragte er. – Gar vornehm, sprach ich, scheinst du mir die Kenntnis von dem, was droben ist, bei dir selbst zu bestimmen, was sie ist. Denn du wirst wohl auch, wenn einer Gemälde an der Decke betrachtet und hinaufgereckt etwas unterscheidet, glauben, daß der mit der Vernunft betrachtet und nicht mit den Augen. Vielleicht nun ist deine Ansicht die rechte, meine aber einfältig. Denn ich kann wieder nicht glauben, daß irgendeine andere Kenntnis die Seele nach oben schauen mache als die des Seienden und Unsichtbaren, und wenn einer nach oben gereckt oder nach unten blinzelnd nur irgend Wahrnehmbares zu lernen trachtet: so leugne ich sogar, daß er je etwas lerne, weil es von nichts dergleichen eine Wissenschaft gibt, und behaupte, daß seine Seele nicht aufwärts schaue, sondern nur unterwärts, und wenn er auch ganz auf dem Rücken liegend lernte zu Lande oder zu Wasser. –
Entwurf einer wahrhaft nützlichen Astronomie
Da ist mir recht geschehen, sagte er, und wohlverdient hast du mich gescholten. Aber wie, meinst du, müsse man die Sternkunde anders lernen, als jetzt geschieht, wenn sie mit Nutzen für das, was wir meinen, erlernt werden soll? – So, sprach ich, daß man diese Gebilde am Himmel, da sie doch im Sichtbaren gebildet sind, zwar für das beste und vollkommenste in dieser Art halte, aber doch weit hinter dem Wahrhaften zurückbleibend, nämlich den Bewegungen, in welchen die Geschwindigkeit, welche ist, und die Langsamkeit, welche ist, sich nach der wahrhaften Zahl und allen wahrhaften Figuren gegeneinander bewegen und was darin ist forttreiben, welches alles nur mit der Vernunft zu fassen ist, mit dem Gesicht aber nicht. Oder meinst du etwa? – Keineswegs wohl. – Also, sprach ich, jene bunte Arbeit am Himmel muß man nur als Beispiele gebrauchen, um jenes zu erlernen, wie wenn einer auf des Daidalos oder eines andern Künstlers oder Malers vortrefflich gezeichnete und fleißig ausgearbeitete Vorzeichnungen trifft. Denn wenn einer, der sich auf Meßkunde versteht, diese sieht, so wird er wohl finden, daß sie vortrefflich gearbeitet sind, aber es doch lächerlich sei, diese im Ernst darauf anzusehen, als ob man darin das Wesen des Gleichen oder Doppelten oder irgendeines anderen Verhältnisses fassen könnte. – Wie sollte das nicht lächerlich sein! sagte er. – Meinst du nun nicht, sprach ich, es werde dem wahrhaft Sternkundigen ebenso ergehen, wenn er die Bewegungen der Gestirne betrachtet? Er werde zwar glauben, so vortrefflich nur immer dergleichen Werke zusammengesetzt sein können, sei gewiß von dem Bildner des Himmels dieser und was in ihm ist auch zusammengesetzt; aber das Verhältnis der Nacht zum Tage und dieser zum Monat und des Monates zum Jahr und der andern Gestirne zu diesen und unter sich, meinst du nicht, er werde den für ungereimt hatten, welcher behauptet, diese erfolgen immer auf die gleiche Weise, ohne je um das mindeste abzuweichen, die doch Körper haben und sichtbar sind, und man müsse auf jede Weise versuchen, an ihnen das Wesen zu erfassen? – Das dünkt mich nun auch, sprach er, da ich dich höre. – Also, sprach ich, um uns der Aufgabe zu bedienen, welche sie darbietet, wollen wir wie die Meßkunde so auch die Sternkunde herbeiholen, was aber am Himmel ist, lassen, wenn es uns anders darum zu tun ist, wahrhaft der Sternkunde uns befleißigend das von Natur Vernünftige in unserer Seele aus Unbrauchbarem brauchbar zu machen. – Da gibst du vielmal mehr zu tun, als jetzt bei der Sternkunde geschieht. – Und ich denke wohl, sagte ich, wir werden es mit allem andern ebenso einrichten müssen, wenn wir als Gesetzgeber etwas nütze sein wollen.
Brauchbarkeit der Wissenschaft der Harmonie
Aber was hast du nun noch in Erinnerung zu bringen von hierher gehörigen Kenntnissen? – Nichts jetzt sogleich, sagte er. – Aber die Bewegung selbst, sprach ich, stellt uns nicht eine, sondern mehrere Arten dar; sie nun insgesamt mag ein Sachkundiger auszuführen wissen, die aber auch uns gleich auffallen, deren sind zwei. – Was für welche? – Es scheinen ja, sprach ich, wie für die Sternkunde die Augen gemacht sind, so für die harmonische Bewegung die Ohren gemacht und dieses zwei verschwisterte Wissenschaften zu sein, wie die Pythagoräer behaupten und wir zugeben, oder wie sonst tun? – Zugeben. – Also, sprach ich, weil das eine weitläufige Sache ist, wollen wir nur von jenen vernehmen, was sie darüber sagen, und ob noch etwas anderes zu diesem; wir aber wollen außer dem allen das unsrige wohl in acht nehmen. – Was doch? – Daß nicht unseren Zöglingen einfalle, etwas hiervon unvollständig zu lernen, so daß es nicht jedesmal dahin ausgeht, worauf alles führen soll, wie wir eben von der Sternkunde sagten. Oder weißt du nicht, daß sie es mit der Harmonie ebenso machen?
Wenn sie nämlich die wirklich gehörten Akkorde und Töne gegeneinander messen, mühen sie sich eben wie die Sternkundigen mit etwas ab, womit sie nicht zustande kommen. – Bei den Göttern, sagte er, und gar lächerlich halten sie bei ihren sogenannten Heranstimmungen das Ohr hin, als ob sie in der Nachbarschaft eine Stimme erlauschen wollten, wobei denn einige behaupten, sie hörten noch einen Unterschied des Tones, und dies sei das kleinste Intervall, nach welchem man messen müsse, andere aber leugnen es und sagen, sie klängen nun schon ganz gleich, beide aber halten das Ohr höher als die Vernunft. – Du, sprach ich, meinst jene Guten, welche die Saiten ängstigen und quälen und auf den Wirbeln spannen. Damit aber die Erzählung nicht zu lang werde, will ich dir die Schläge mit dem Hammer und das Ansprechen und Versagen und die Sprödigkeit der Saiten, diese ganze Geschichte will ich dir schenken und leugne, daß diese Leute etwas von der Sache sagen, sondern vielmehr jene, von denen wir eben sagten, wir wollten sie der Harmonie wegen befragen. Denn diese hier machen es ebenso wie jene Astronomen, nämlich sie suchen in diesen wirklich gehörten Akkorden die Zahlen, aber sie steigen nicht zu Aufgaben, um zu suchen, welches harmonische Zahlen sind und welches nicht, und weshalb beides. – Das ist auch, sagte er, eine gar wunderliche Sache. – Sehr nützlich allerdings, sprach ich, für die Auffindung des Guten und Schönen, wenn man sie aber auf andere Weise betreibt, ganz unnütz. – Wahrscheinlich wohl, sagte er. –
Alle anderen Wissenschaften sind Vorübungen für die Dialektik als Wissenschaft von dem, was ist
Ich meinesteils denke, fuhr ich fort, wenn die Bearbeitung der Gegenstände, die wir bis jetzt durchgegangen sind, auf deren Gemeinschaft unter sich und Verwandtschaft gerichtet ist und sie zusammengebracht werden, wie sie zusammengehören, so kann diese Beschäftigung schon etwas beitragen zu dem, was wir wollen, und ist dann keine unnütze Mühe; wenn aber nicht, so ist sie unnütz. – So ahnt auch mir, sagte er, aber das ist gar ein großes Werk, o Sokrates. – Schon das Vorspiel, sprach ich, oder was meinst du? Oder wissen wir nicht, daß alles dies nur das Vorspiel ist zu der Melodie, welche eigentlich erlernt werden soll? Denn du meinst doch nicht, daß die in diesen Dingen stark sind, schon die Dialektiker sind? – Nein beim Zeus, außer nur gar wenige von denen, die mir bekannt geworden. – Aber auch das doch nicht, daß solche, die nicht einmal vermögen, irgend Rede zu stehen oder zu fordern, irgend etwas wissen werden von dem, was man, wie wir sagen, wissen muß? – Auch das gewiß nicht, sagte er. –
Also dieses, o Glaukon, ist nun wohl die Melodie oder der Satz selbst, was die Dialektik ausführt? Von dem auch, wie er nur mit dem Gedanken gefaßt wird, jenes Vermögen des Gesichts ein Abbild ist, von welchem wir sagten, daß es bestrebt sei, auf die Tiere selbst zu schauen und auf die Gestirne selbst, ja zuletzt auch auf die Sonne selbst. So auch wenn einer unternimmt, durch Dialektik ohne alle Wahrnehmung nur mittels des Wortes und Gedanken zu dem selbst vorzudringen, was jedes ist, und nicht eher abläßt, bis er, was das Gute selbst ist, mit der Erkenntnis gefaßt hat, dann ist er an dem Ziel alles Erkennbaren, wie jener dort am Ziel alles Sichtbaren. – Auf alle Weise. – Und diesen Weg, nennst du den nicht den dialektischen? – Wie sonst? – Die Lösung aber von den Banden und die Umwendung von den Schatten zu den Bildern und zum Licht, und das Hinaufsteigen aus dem unterirdischen Aufenthalt an den Tag, und dort das zwar auf die Tiere und Pflanzen selbst und auf das Licht der Sonne noch bestehende Unvermögen hinzuschauen, wohl aber auf deren göttliche Abbilder im Wasser und Schatten des Seienden, nicht mehr der Bilder Schatten, welche durch ein anderes, in Vergleich mit der Sonne ebensolches Licht abgeschattet wären: das ist die Kraft, welche die gesamte Beschäftigung mit den Künsten besitzt, welche wir durchgenommen haben; und solche Anleitung gewähren sie dem Besten in der Seele zum Anschauen des Trefflichsten unter dem Seienden, wie dort dem Klarsten am Leibe zu der des Glänzendsten in dem körperlichen und sichtbaren Gebiet. – Ich, sprach er, nehme es so an; wiewohl es mir gar schwer scheint, es anzunehmen, dann aber auch wieder schwer, es nicht anzunehmen. Doch – denn man muß das ja nicht diesmal nur hören, sondern noch gar oft darauf zurückkommen – laß uns setzen, dies verhielte sich, wie eben gesagt wird, und laß uns nun zu dem Satz selbst gehen und ihn ebenso durchnehmen, wie wir das Vorspiel durchgenommen haben.
Sprich daher, welches ist das eigentümliche Wesen der Dialektik, in was für Arten zerfällt sie, und welches sind die Wege zu ihr; denn diese wären es nun endlich, dünkt mich, die dahin führen, wo für den Angekommenen Ruhe ist vom Wege und Ende der Wanderschaft. – Du wirst nur, sprach ich, lieber Glaukon, nicht mehr imstande sein zu folgen! Denn an meiner Bereitwilligkeit soll es nicht liegen, und du sollst nicht mehr nur ein Bild dessen, wovon wir reden, sehen, sondern die Sache selbst, so gut sie sich mir wenigstens zeigt; ob nun richtig oder nicht, das darf ich nicht behaupten, aber daß es etwas solches gibt, muß behauptet werden. Nicht wahr? – Notwendig. – Nicht auch, daß allein die Kraft der Dialektik es dem zeigen kann, welcher der erwähnten Dinge kundig ist, sonst aber es nicht möglich ist? – Auch dies, sagte er, darf man behaupten. – Und dies wenigstens, sprach ich, wird uns wohl niemand bestreiten, wenn wir sagen, daß, was jegliches selbst sei, dies keine andere Wissenschaft planmäßig von allem zu finden sucht, sondern alle anderen Künste sich entweder auf der Menschen Vorstellungen und Begierden beziehen oder auch mit Hervorbringen und Zusammensetzen oder mit Pflege des Hervorgebrachten und Zusammengesetzten zu tun haben; die übrigen aber, denen wir zugaben, daß sie sich etwas mit dem Seienden befassen, die Meßkunde und was mit ihr zusammenhängt, sehen wir wohl, wie sie zwar träumen von dem Seienden, ordentlich wachend aber es wirklich zu erkennen nicht vermögen, solange sie, Annahmen voraussetzend, diese unbeweglich lassen, indem sie keine Rechenschaft davon geben können. Denn wovon der Anfang ist, was man nicht weiß, Mitte und Ende also aus diesem, was man nicht weiß, zusammengeflochten sind, wie soll wohl, was auf solche Weise angenommen wird, jemals eine Wissenschaft sein können? – Keine gewiß! sagte er. –
Zusammenfassung über Stellung und Aufgabe der Dialektik
Nun aber, sprach ich, geht allein die dialektische Methode, auf diese Art alle Voraussetzungen aufhebend, gerade zum Anfange selbst, damit dieser fest werde, und das in Wahrheit in barbarischem Schlamm vergrabene Auge der Seele zieht sie gelinde hervor und führt es aufwärts, wobei sie als Mitdienerinnen und Mitleiterinnen die angeführten Künste gebraucht, welche wir zwar mehrmals Wissenschaften genannt haben, der Gewohnheit gemäß, die aber eines andern Namens bedürfen, der mehr besagt als Meinung, aber dunkler ist als Wissenschaft – wir haben sie aber schon früher irgendwo Verständnis genannt; indes, denke ich, müssen die nicht über die Wörter streiten, denen eine so große Untersuchung wie uns vorliegt. – Freilich nicht! sagte er, sondern wenn eines nur das bestimmt bezeichnet für den Vortrag, was man bei sich denkt, genügt es. – Es genügt uns also, sprach ich, wie zuvor die erste Abteilung Wissenschaft zu nennen, die zweite Verständnis, die dritte Glaube, die vierte Wahrscheinlichkeit; und diese beiden zusammengenommen Meinung, jene beiden aber Erkenntnis. Und Meinung hat es mit dem Werden zu tun, Erkenntnis mit dem Sein; und wie sich Sein und Werden verhält, so Erkenntnis zur Meinung, und wie Erkenntnis zur Meinung, so Wissenschaft zum Glauben und Verständnis zur Wahrscheinlichkeit. Das Verhältnis dessen aber, worauf sich diese beziehen, das Vorstellbare und Erkennbare, und die zwiefache Teilung jedes von beiden, wollen wir lassen, o Glaukon, um nicht in noch vielmal größere Untersuchungen zu geraten als die vorigen. – Mir meinesteils, sagte er, gefällt das übrige alles, soweit ich folgen kann, gleichfalls. –
Nennst du nun auch den Dialektiker, der die Erklärung des Seins und Wesens eines jeden faßt? Und wer die nicht hat, wirst du nicht von dem, inwiefern er nicht imstande ist, sich und andern Rede zu stehen, insofern auch leugnen, er habe hiervon Erkenntnis? – Wie könnte ich es wohl behaupten? – Also auch ebenso mit dem Guten, wer nicht imstande ist, die Idee des Guten von allem andern absondernd durch Erklärung zu bestimmen, und wer nicht, wie im Gefecht durch alle Angriffe sich durchschlagend, sie nicht nach dem Schein, sondern nach dem Sein zu verfechten suchend, durch dies alles mit einer unüberwindlichen Erklärung durchkommt, von dem wirst du auch weder, daß er das Gute selbst erkenne, behaupten wollen, wenn es sich so mit ihm verhält, noch auch irgendein anderes Gutes; sondern wenn er irgendein Bild davon trifft, daß er es durch Meinung, nicht durch Wissenschaft treffe, und daß er, in diesem Leben träumend und schlummernd, ehe er hier erwacht ist, in die Unterwelt kommt und vollkommen in den tiefsten Schlaf versinkt. – Beim Zeus, sagte er, gar sehr werde ich das alles sagen. – Und deine eignen Kinder, die du jetzt in unsrer Rede erziehst und bildest, wenn du die je in der Wirklichkeit erzögest, würdest du sie doch gewiß nicht, wenn sie unvernünftig wären wie irrationale Linien, den Staat regieren lassen und das Wichtigste von ihnen abhängig machen? – Freilich nicht. – Sondern du wirst es ihnen zum Gesetz machen, derjenigen Bildung vorzüglich nachzustreben, durch welche sie instandgesetzt werden, so wissenschaftlich wie möglich zu fragen und zu antworten. – Dies Gesetz werde ich allerdings geben mit dir. – Scheint dir nun nicht, sprach ich, die Dialektik recht wie der Sims über allen anderen Kenntnissen zu liegen und über diese keine andere Kenntnis mehr mit Recht aufgesetzt werden zu können, sondern es mit den Kenntnissen hier ein Ende zu haben? – Mir wohl! sagte er.
Auswahl der für diese Kenntnisse geeigneten Naturen
Nun ist dir also noch die Verteilung übrig, sprach ich, wem wir diese Kenntnisse mitteilen wollen und auf welche Weise. – Offenbar, sagte er. – Erinnerst du dich nun noch unserer ersten Auswahl der Herrscher, was für welche wir ausgewählt haben? – Wie sollte ich nicht! sagte er. – Im übrigen nun, sprach ich, nimm an, daß es jene Naturen sein müssen, die auszuwählen sind; denn man muß die festesten und tapfersten vorziehen und nach Vermögen die wohlgestaltetsten. Außerdem aber müssen wir nun noch suchen nicht nur edle und mutige von Gesinnung, sondern auch die für diesen Unterricht günstigen Anlagen müssen sie haben. – Und welche bezeichnest du als solche? – Scharfblick, o Bester, sprach ich, müssen sie mitbringen und nicht schwer lernen. Denn viel eher noch wird die Seele mutlos bei schwierigen Kenntnissen als bei Leibesübungen. Denn die Anstrengung ist ihr eigentümlicher, weil sie ausschließend ist und sie sie nicht mit dem Körper teilt. – Richtig, sagte er. – Und einen von gutem Gedächtnis müssen wir suchen, der auch unermüdlich ist und außerordentlich arbeitslustig. Oder wie meinst du sonst werde einer jenes Körperliche alles durcharbeiten können und noch dazu so große Aufgaben des Lernens und Nachdenkens vollenden? – Keiner gewiß, sagte er, der nicht in jedem Sinne gutgeartet ist. – Der jetzige Fehler wenigstens, sprach ich, und die Geringschätzung ist der Philosophie daraus entstanden, wie wir auch vorher sagten, daß man sich nicht gehörig mit ihr abgibt; denn nicht Unechte sollten es tun, sondern Echte. – Wie meinst du das? – Zuerst, sagte ich, muß einer an der Arbeitsamkeit nicht hinken, der sich mit ihr abgeben will, daß er halb arbeitslustig ist und halb träge. Und so ist es doch, wenn einer zwar die Leibesübungen liebt und die Jagd und, wo es auf den Leib ankommt, sich gern anstrengt, aber weder lernlustig ist noch hörlustig noch forschlustig, sondern in dem allen sich ungern anstrengt. Ebenso hinkt nun auch, wer seine Arbeitslust nur auf die entgegengesetzte Seite geworfen hat. –Vollkommen richtig. – Und werden wir nicht auch in bezug auf die Wahrheit eine Seele für verstümmelt hatten müssen, welche das freiwillige Falsche zwar haßt, es nicht leidend an sich selbst, und wenn andere lügen, in heftigen Unwillen gerät, das unfreiwillige aber sich leicht gefallen läßt und, wenn man sie auf der Unwissenheit ertappt, nicht unwillig wird, sondern gar lustig nach Schweineart in der Dummheit herumsudelt? – Allerdings, sagte er. – Auch was Besonnenheit anlangt und Tapferkeit und Großmut und alle Teile der Tugend, muß man nicht weniger darauf achten, wer unecht ist und wer echt. Denn wer dergleichen nicht zu unterscheiden weiß, es sei ein einzelner oder ein Staat, der hat dann, ohne es zu wissen, Hinkende und Unechte, worin er nun eben auf solche treffe, jener zu Freunden, dieser zu Anführern. – Gar sehr, sagte er, verhält es sich so. – Wir aber müssen uns vor allem der Art gewaltig hüten, so daß, wenn wir nur Geradgliedrige und Geradsinnige zu so großen Unterweisungen und Übungen zulassen und ausbilden, die Gerechtigkeit selbst uns nicht wird tadeln können und wir den Staat und die Verfassung retten werden; bringen wir aber Ungeschickte dazu, so werden wir ganz das Gegenteil bewirken und der Philosophie noch mehr Gelächter zuziehen. – Das wäre ja schmählich, sagte er. – Freilich, sprach ich. Aber Lächerliches scheint auch mir gegenwärtig begegnet zu sein. – Was doch? – Ich vergaß, daß wir scherzten, und habe die Rede zu scharf gespannt. Denn indem ich sprach, blickte ich zugleich auf die Philosophie, und da ich sie so unwürdig geschmäht sah, scheint mir, daß ich unwillig und ereifert über die Schuldigen zu ernst gesprochen habe, was ich sprach. – Nein beim Zeus, sagte er, für mich wenigstens als Zuhörer nicht. – Wohl aber für mich, sprach ich, als Redner. Das aber laß uns nicht vergessen, daß bei unserer ersten Wahl wir Alte gewählt haben, bei der jetzigen dies aber nicht angehen wird. Denn es ist dem Solon nicht zu glauben, daß alternd einer noch viel zu lernen vermag, sondern noch weniger als zu laufen; vielmehr gehören alle großen und anhaltenden Anstrengungen der Jugend. – Notwendig, sagte er. –